Das Handbüchlein des Epiktet

Auszug aus dem Handbüchlein des Stoikers Epiktet:

Einige Dinge sind in unserer Gewalt, andere nicht. In unserer Gewalt sind: Meinung, Trieb, Begierde, Widerwille: kurz: Alles, was unser eigenes Werk ist. Nicht in unserer Gewalt sind: Leib, Vermögen, Ansehen, Ämter, kurz: Alles, was nicht unser eigenes Werk ist.

Und die Dinge, welche in unserer Gewalt stehen, sind von Natur frei; sie können nicht verhindert, noch in Fesseln geschlagen werden. Die Dinge aber, welche nicht in unserer Gewalt stehen, sind schwach, und völlig abhängig; sie können verhindert und entfremdet werden.

Wofern du nun Dinge, die von Natur völlig abhängig sind, für frei, und Fremdes für Eigenthum ansiehst, so vergiss nicht, daß du auf Hindernisse stoßen, in Trauer und Unruhe geraten, und Götter und Menschen anklagen wirst. Wenn du aber nur, was wirklich dein ist, als dein Eigentum betrachtest, das Fremde aber so, wie es ist, als Fremdes, so wird dir niemand je Zwang antun, niemand wird dich hindern; du wirst keinen schelten, keinen anklagen, wirst nichts tun wider Willen, niemand wird dich kränken, du wirst keinen Feind haben, kurz: du wirst keinerlei Schaden leiden.

Wenn du nun so Großes begehrst, so bedenke, daß du nicht mit halbem Eifer darnach greifen, sondern einiges völlig verleugnen, anderes für jetzt aufschieben mußt. Wofern du aber sowohl jenes begehrst, als auch herrschen und reich sein willst, so wirst du vielleicht nicht einmal dieses letztere erlangen, gerade weil du zugleich nach dem ersteren strebst. Gänzlich verfehlen aber wirst du dasjenige, woraus allein Freiheit und Glückseligkeit entspringt.

Bestrebe dich, jeder unangenehmen Vorstellung sofort zu begegnen mit den Worten: du bist nur eine Vorstellung, und durchaus nicht das, als was du erscheinst. Alsdann untersuche dieselbe, und prüfe sie nach den Regeln, welche du hast, und zwar zuerst und allermeist nach der, ob es etwas betrifft, was in unserer Gewalt ist, oder etwas, das nicht in unserer Gewalt ist; und wenn es etwas betrifft, das nicht in unserer Gewalt ist, so sprich nur jedesmal sogleich: Geht mich nichts an!

Bedenke, dass die Begierde verheißt, wir werden erlangen, was wir begehren; der Widerwille aber verheißt, es werde uns nicht widerfahren, was er zu meiden sucht.

Wer nun nicht erlangt, was er begehrt, ist unglücklich, und wem widerfährt, was er gerne vermeiden möchte, ist es doppelt. Wenn du aber bloß dasjenige zu meiden suchst, was der Natur der Dinge, die in deiner Gewalt sind, zuwider ist, so wird nichts von dem widerfahren, was du meiden willst. Willst du aber Krankheit meiden, oder Armut, oder Tod, so wirst du unglücklich sein.

Hinweg also mit deinem Widerwillen von allem dem, was nicht in unsrer Gewalt ist, und trage ihn über auf das, was der Natur der Dinge, die in unsrer Gewalt sind, zuwider ist. Die Begierde aber entferne vorerst ganz. Denn wenn du etwas von dem begehrst, was nicht in unserer Gewalt ist, so mußt du notwendiger Weise unglücklich sein. Von den Dingen aber, die in unserer Gewalt sind, und welche zu begehren rühmlich wäre, ist dir noch gar nichts bekannt. Nur Trieb und Abneigung lass walten; aber sachte, mit Auswahl und mit Zurückhaltung.

Bei Allem, was die Seele ergötzt, oder Nutzen schafft, oder dir lieb und wert ist, vergiss nicht, ausdrücklich zu erwägen, welcher Art es sei, und fange beim Geringsten an. Wenn du einen Topf liebst, denke: ich liebe einen Topf. Zerbricht er dann, so wird es dich nicht anfechten. Wenn du dein Kind oder Weib herzest, so sage dir, daß du einen Menschen herzest. Stirbt er, so wird es dich nicht anfechten.

Wenn du an ein Geschäft gehen willst, so erinnere dich beiläufig, wie das Geschäft beschaffen sei. Wenn du zum Baden gehst, stelle dir vor, was im Bad zu geschehen pflegt, wie sie einander mit Wasser spritzen, einander stoßen, schimpfen und bestehlen. So wirst du mit größerer Sicherheit zu Werk gehen, indem du dabei alsbald zu dir selbst sprichst: Ich will jetzt baden, zugleich aber auch meinen der Natur gemäßen Grundsatz festhalten. Und so bei jedem Geschäfte. Auf diese Weise wirst du dann, wenn dir beim Baden etwas in den Weg kommt, sogleich den Trost bei der Hand haben: Ich wollte ja nicht dieses allein, sondern auch meinen naturgemäßen Grundsatz festhalten. Ich werde ihn aber nicht festhalten, wenn ich mich über das Vorgefallene ärgere.

Nicht die Dinge selbst, sondern die Meinungen von den Dingen beunruhigen die Menschen.

Epiktet


Nicht die Dinge selbst, sondern die Meinungen von den Dingen beunruhigen die Menschen. So ist z.B. der Tod nichts Schreckliches, sonst wäre er auch dem Sokrates so erschienen; sondern die Meinung von dem Tod, daß er etwas Schreckliches sei, das ist das Schreckliche. Wenn wir nun auf Hindernisse stoßen, oder beunruhigt, oder bekümmert sind, so wollen wir niemals einen andern anklagen, sondern uns selbst, das heißt: unsere eigenen Meinungen. Sache des Unwissenden ist es, andere wegen seines Mißgeschicks anzuklagen; Sache des Anfängers in der Weisheit, sich selbst anzuklagen; Sache des Weisen, weder einen andern, noch sich selbst anzuklagen.

Sei auf keinen fremden Vorzug stolz. Wenn das Pferd sich stolz erhebend spräche: wie schön bin ich! so könnte man sich das gefallen lassen. Wenn aber du selbst voll Stolz sprächest: welch ein schönes Pferd habe ich! so wisse, daß du auf die Vorzüge deines Pferdes stolz bist. Was ist nun aber dein? Der Gebrauch deiner Vorstellungen! Wenn du also von deinen Vorstellungen einen naturgemäßen Gebrauch machst, dann magst du stolz sein; denn alsdann bist du stolz auf einen Vorzug, der dir gehört.

Wenn du auf einer Seereise, während das Schiff im Hafen liegt, ausgehst, um Wasser zu schöpfen, so hebst du wohl nebenbei auch ein Muschelchen oder Zwiebelchen am Wege auf; deine Gedanken aber musst du auf das Schiff gerichtet haben, und fleißig zurückschauen, ob nicht etwa der Steuermann rufe; und wenn er ruft, so mußt du alle jene Dinge zurücklassen, damit du nicht gebunden hineingeworfen werdest, wie die Schafe. So ist’s auch im Leben. Wenn dir statt Zwiebelchen und Muschelchen ein Weibchen oder Kindchen geschenkt wird, so wird nichts dagegen einzuwenden sein. Wenn aber der Steuermann ruft, so renne zum Schiff und laß alle jene Dinge zurück, ohne dich auch nur umzuschauen. Bist du aber ein Greis, so entferne dich nicht einmal weit vom Schiff, damit du nicht zurückbleibest, wann jener ruft.

Verlange nicht, daß die Dinge gehen, wie du es wünschest, sondern wünsche sie so, wie sie gehen, und dein Leben wird ruhig dahin fließen.

Krankheit ist ein Hindernis des Körpers, aber nicht des Willens, wenn er nicht selbst will. Lähmung ist ein Hindernis des Fußes, aber nicht des Willens. Und so denke bei allem, was dir begegnet; denn du wirst finden, daß es wohl ein Hindernis für etwas anderes ist, aber nicht für dich.

Vergiss nicht, bei jedem Vorfall in dich zu gehen, und zu untersuchen, welches Mittel du besitzest, um daraus Nutzen zu ziehen. Erblickst du einen Schönen oder eine Schöne, so wirst du ein Mittel dagegen finden, die Selbstbeherrschung. Kommt Anstrengung, so findest du Ausdauer; kommt Schmach, so findest du Kraft zum Erdulden des Bösen. Und wenn du dich so gewöhnst, so wird dich die Vorstellung nicht hinreißen.

Sage nie von einem Ding: ich habe es verloren; sondern: ich habe es zurückgegeben. Dein Kind ist gestorben; es ist zurückgegeben worden. Dein Weib ist gestorben; es ist zurückgegeben worden. Dein Landgut wurde dir genommen. Nun also auch dieses ist nur zurückgegeben worden. »Aber der es dir genommen hat, ist ein Schurke.« Was geht es aber dich an, durch wen es dir derjenige wieder abgefordert hat, der es dir gab? So lange er es aber dir überlässt, behandle es als fremdes Gut, so wie die Reisenden die Herberge.

Willst du Fortschritte machen, so mußt du Gedanken, wie die folgenden, fahren lassen: Wenn ich das Meinige vernachläßige, so werde ich kein Brod haben; wenn ich meinen Jungen nicht züchtige, so wird er ein Bösewicht werden. Denn besser ist es, Hunger sterben, frei von Traurigkeit und Furcht, als im Überfluss leben mit Unruhe im Herzen; und besser ist’s, daß der Junge ein Bösewicht werde, als dass du unglücklich seiest.

Fange also mit geringfügigen Dingen an. Man verschüttet dir dein Bischen Öl, man stiehlt dir dein Restchen Wein. Denke dabei: so teuer kauft man Gelassenheit, so teuer Gemütsruhe. Umsonst bekommt man nichts.

Wenn du deinen Knecht herbeirufst, so denke: es kann sein, daß er es nicht gehört hat; und wenn er es gehört hat, daß er nichts von dem thut, was du haben willst. Aber so gut soll er es nicht haben, daß deine Gemütsruhe in seine Willkür gestellt wäre.

Willst du Fortschritte machen, so laß es dir gefallen, daß man dich in Bezug auf äußere Dinge für dumm und einfältig hält. Du mußt nicht scheinen wollen, als wissest du etwas. Wenn auch gewisse Leute etwas auf dich halten, so traue dir selbst nicht. Wisse nämlich, daß es nicht leicht ist, die naturgemäßen Grundsätze, die du hast, und zugleich die äußeren Dinge im Auge zu behalten. Vielmehr, wer für das eine sorgen will, muß ganz nothwendig das andere vernachläßigen.

Wenn du willst, daß deine Kinder, dein Weib und deine Freunde ewig leben sollen, so bist du ein Tor. Du willst damit, daß Dinge, die nicht in deiner Gewalt sind, in deiner Gewalt sein sollen, und was nicht dein ist, soll dir gehören.

So auch, wenn du willst, dein Sohn soll keine Fehler machen, so bist du ein Narr; du willst nämlich, Schlechtigkeit soll nicht Schlechtigkeit sein, sondern etwas anderes. Willst du aber, daß deine Wünsche nicht fehlschlagen, das vermagst du schon. Das Mögliche also darin übe dich.

Ein Herr über alles ist der, welcher die Macht hat, das, was er will, oder nicht will, anzuschaffen oder wegzuschaffen. Wer nun frei sein will, der muss weder etwas wollen, noch etwas nicht wollen von dem, was in anderer Leute Gewalt ist. Wo nicht, so muß er ein Sklave sein.

Vergiss nicht, dass du dich (im Leben) wie bei einem Gastmahl betragen mußt. Man bietet etwas herum, und es gelangt zu dir: strecke die Hand aus, und nimm bescheiden davon. Es geht an dir vorüber: halte es nicht auf. Es will immer noch nicht kommen: blicke nicht aus der Ferne begehrlich darauf hin, sondern warte, bis es an dich kommt. Ebenso halte es in Bezug auf Kinder, Weib, Aemter und Reichthum; dann wirst du einst ein würdiger Tischgenosse der Götter sein. Wenn du aber selbst von dem, was dir vorgelegt wird, nichts annimmst, sondern darüber wegsiehst, so wirst du nicht bloß mit den Göttern zu Tische sitzen, sondern auch mit herrschen. So handelten Diogenes und Heraklit und ihresgleichen, und deßhalb waren und hießen sie mit Recht göttliche Menschen.

Wenn du jemand weinen siehst aus Betrübnis, entweder weil sein Sohn in die Fremde gegangen ist, oder weil er das Seinige verloren hat, so gib Achtung, daß dich nicht die Vorstellung hinreiße, als sei jener im Unglück durch äußere Ursachen; sondern sprich nur sogleich: jenen drückt nicht das Begegniß selbst, einen andern drückt es ja auch nicht,  sondern was er sich darunter vorstellt. Zögere zwar nicht, dich wenigstens in deinen Worten nach ihm zu richten, und wenn es sich gerade schickt, auch mit ihm zu seufzen. Hüte dich aber, daß du nicht auch innerlich mitseufzest.

Bedenke, daß du Schauspieler bist in einem solchen Stück, wie es eben dem Dichter beliebt; ist es kurz, in einem kurzen; ist es lang, in einem langen. Will er, daß du einen Bettler vorstellen sollst, so stelle auch einen solchen naturgetreu dar. Ebenso einen Lahmen, einen Herrscher, einen gemeinen Mann. Deine Sache ist es nemlich, die Rolle, welche dir übertragen worden ist, gut zu spielen; sie anzuwählen, Sache eines Andern.

Anmerkung: In der griechischen Mythologie sind es die Schicksalsgöttinnen (Moiren), die um das Spinnrad sitzen und den Lebensfaden weben, bemessen und abschneiden. Die Charakterisierung des individuellen Lebens als schauspielerische Tätigkeit zeigt den Wandel vom Mythos zum Logos. Das maßvolle, vernünftige Handeln kann das Fatum (Nietzsche) des Daseins zumindest ergänzen, im guten Falle erleichtern.

Wenn ein Rabe durch sein Krächzen Unheil verkündet, so laß dich nicht von der Vorstellung hinreißen; sondern unterscheide sogleich bei dir selbst und sprich: keines von diesen Vorzeichen gilt mir; sondern entweder meinem elenden Leib, oder meinen paar Pfennigen, oder meinem bischen Reputation, oder meinen Kindern, oder meinem Weibe. Mir selbst aber wird lauter Glück geweissagt, sofern ich nur will; denn was immer von jenen Dingen sich ereignen mag, es steht bei mir, Nutzen daraus zu ziehen.

Du kannst unüberwindlich sein, wenn du dich in keinen Kampf einlässest, in welchem es nicht in deiner Macht steht, obzusiegen.

Wenn du einen hochgeehrten, oder vielvermögenden, oder sonst angesehenen Mann siehst, so hüte dich, daß du nicht, von der Vorstellung hingerissen, ihn glücklich preisest. Denn wenn das wahre Gut in den Dingen besteht, welche in unsrer Gewalt sind, so findet weder Neid noch Eifersucht Raum; und du selbst wirst nicht Heerführer, oder Rathsherr, oder Consul sein wollen, sondern frei. Dazu führt nur ein Weg: Verachtung der Dinge, die nicht in unsrer Gewalt sind.

Bedenke, daß nicht derjenige dich kränkt, welcher dich schmäht, oder schlägt; sondern die Meinung, als liege darin etwas Kränkendes. Wenn dich also jemand ärgert, so wisse, daß dich deine Meinung geärgert hat. Deshalb versuche es vor Allem, dich nicht von der Vorstellung hinreißen zu lassen. Hast du nur einmal Zeit und Aufschub gefunden, so wirst du dich um so leichter beherrschen.

Stoaod und Verbannung und Alles, was als schrecklich erscheint, soll dir täglich vor Augen schweben, am meisten aber der Tod; so wirst du nie weder an etwas Gemeines denken, noch etwas allzuheftig begehren.

Im Weggehen unterhalte dich nicht viel über das Vorgekommene, so weit es nicht zu deiner Besserung beiträgt. Denn hiedurch gewönne es den Anschein, als habest du das Schauspiel bewundert.

Du willst ein Philosoph sein. Mache dich von Stund an darauf gefaßt, daß man dich auslacht, daß dich viele verspotten und sagen: Er ist plötzlich als Philosoph zu uns zurückgekommen; und weßhalb trägt er seinen Kopf gegen uns so hoch?

Du sollst aber den Kopf nicht hoch tragen; sondern was dir das Beste zu sein dünkt, das halte fest, gerade so, als ob du von Gott selbst auf diesen Posten gestellt worden wärest; und bedenke, daß dich, wenn du immer auf dem Gleichen beharrst, diejenigen, welche dich zuerst verlacht haben, zuletzt bewundern werden. Lässest du dich aber von ihnen besiegen, so wirst du zwiefältigen Spott ernten.

Wenn es dir einmal begegnet, daß du dich nach außen wendest, in der Absicht, irgend einem zu gefallen, so wisse, daß du deine innere Stellung verloren hast. Es genüge dir also durchaus, ein Philosoph zu sein. Willst du aber auch (von jemand) dafür angesehen sein, so sieh dich selbst dafür an. Dies vermagst du.

Gedanken, wie die folgenden, laß dich nicht anfechten: Ich soll in Schande leben, und als der Garnichts auf der Gotteswelt. Denn wenn die Schande ein Uebel ist, so kann dir das Übel ebensowenig durch einen andern aufgenöthigt werden, als etwas Sittlich-schlechtes. Ist es etwa dein eigen Werk, mit einem Amte bekleidet, oder zur Tafel gezogen zu werden? Keineswegs. Wie könnte also das eine Schande sein? Und in wiefern wirst du der Garnicht sein, da du doch nur in den Dingen etwas sein sollst, in welchen es ganz bei dir steht, dich auf’s höchste auszuzeichnen?

Aber du wirst deine Freunde ohne Unterstützung lassen müssen? Was soll das heißen: ohne Unterstützung? Sie werden kein Geld von dir bekommen; du wirst ihnen das römische Bürgerrecht nicht verschaffen können? Wer hat dir denn gesagt, daß dies zu den Dingen gehöre, die in unsrer Gewalt sind, und nicht vielmehr etwas sei, das uns fremd ist? Wer kann einem andern geben, was er selbst nicht hat?

So erwirb, heißt es jetzt, daß wir auch etwas haben! Wenn ich erwerben kann ohne Verletzung des Ehrgefühls, der Treue und der großherzigen Gesinnung, so zeige mir den Weg, und ich will es thun. Wenn ihr mir aber zumuthet, ich soll die Güter, die mir selbst gehören, verlieren, damit ihr erlanget, was kein Gut ist, so erkennet doch, wie unbillig ihr seid, und wie unverständig. Was wollet ihr denn lieber? Geld, oder einen treuen und ehrliebenden Freund? So verhelfet mir doch lieber zu dem letzteren, und mutet mir nicht zu, etwas zu tun, wodurch ich eben dies verlieren müßte.

Aber das Vaterland, sagt man, wird, wenigstens von mir, keine Unterstützung haben. Ich frage: wie so keine Unterstützung? Es wird keine Säulengänge und keine Bäder durch dich bekommen. Und was liegt daran? Bekommt es doch auch keine Schuhe vom Schmied, und keine Waffen vom Schuster. Es genügt aber, wenn jeder sein Werk recht tut. Wenn du ihm einen andern zu einem treuen und ehrenhaften Bürger heranbildest, hast du ihm dann nichts genützt? Ja doch! Also wärest doch auch du nicht so ganz ohne Nutzen für dasselbe!



Anmerkung: Das Staatsverständnis der Stoiker ist sehr pragmatischer Natur. Der Staat ist für Epiktet weder gleichgültig noch ein Heilsbringer, er beschränkt sich auf seine Rolle als notwendiger Ordnungsrahmen.


Welche Stellung werde ich nun im Staate einnehmen? so fragt man. Diejenige, welche du einnehmen kannst, ohne daß du aufhören mußt, beides, ein treuer und ein ehrliebender Mensch zu sein. Wirfst du aber dieses von dir, um dem Staate zu nützen, welchen Nutzen hätte er wohl von dir, wenn du ehr- und treulos geworden wärest.
Stoainem andern ist beim Gastmahl, oder beim Grüßen, oder beim Herbeiziehen zu einer Beratung mehr Ehre widerfahren, als dir? Wenn dies ein Gut ist, so sollst du dich freuen, dass jener andere es erlangt hat. Ist es aber ein Übel, so klage nicht, daß es dich nicht betroffen hat. Bedenke übrigens, dass du nicht denselben Lohn ansprechen kannst, wenn du nicht dasselbe thust, um die Dinge zu erlangen, die nicht in unsrer Gewalt sind.

Denn wie kann derjenige, welcher einem andern keine Aufwartung macht, so viel bekommen, wie der, welcher sie macht? oder der, welcher nicht im Gefolge mitgeht, so viel wie der, welcher mitgeht, und welcher nicht lobt, so viel wie der, welcher lobt? Du bist also ungerecht und ungenügsam, wenn du, ohne den Preis zu bezahlen, um welchen man jene Dinge verkauft, sie umsonst erlangen willst.

Wie teuer verkauft man den Lattich? Ungefähr um einen Groschen. Wenn nun einer den Groschen bezahlt, und Lattich dafür bekommt, du aber bezahlst nichts, und bekommst nichts, so glaube nicht, daß du weniger habest, als der, welcher etwas bekommen hat. Denn wie jener den Lattich, so hast du den Groschen, den du nicht ausgegeben hast.

Ganz eben so auch hier. Es hat dich einer nicht zur Mahlzeit eingeladen. Du hast eben dem Wirt den Preis nicht bezahlt, um den er sein Gastmahl verkauft. Er verkauft es aber für Lob; er verkauft es für Aufwartung. Bezahle also den Preis, um den es feil ist, wenn es dir taugt. Willst du ihn aber nicht bezahlen, und doch jenes erlangen, so bist du unersättlich und unverständig.

Hast du nun nichts zum Ersatz für das Gastmahl? Das hast du, daß du den nicht zu loben brauchtest, welchen du nicht loben wolltest, und daß du dir nichts gefallen lassen mußtest von seinen Türstehern.

Der Wille der Natur läßt sich erkennen aus dem, worüber keine Meinungsverschiedenheit unter uns herrscht. Z.B. wenn der Sklave eines andern ein Trinkglas zerbricht, so sind wir gleich bereit zu sagen: so geht es eben. Wisse nun, daß du, wenn das deinige ebenfalls zerbricht, dich ebenso betragen mußt, wie wenn das des andern zerbricht.

Hievon mache nun die Anwendung auch auf Wichtigeres. Eines anderen Kind oder Weib ist gestorben. Da ist keiner, der nicht spräche: »So geht’s in der Welt.« Stirbt aber einem sein eigenes, gleich ruft er: »Oh weh mir! Ich Armer!« Man sollte aber sich erinnern, welchen Eindruck es auf uns macht, wenn wir dasselbe von einem andern hören.

Gleichwie ein Ziel nicht zum Verfehlen aufgesteckt wird, so auch nicht die Natur des Übels in der Welt.

Wenn jemand deinen Körper jedem, der dir begegnet, preisgäbe, so würdest du es übel aufnehmen. Daß aber du selbst deinen Geist dem nächsten besten preisgibst, so daß er in Aufregung und Verwirrung geräth, wenn man dich schilt, schämst du dich dessen nicht?

Bei allem, was du thun willst, achte auf das, was vorangeht, und was nachfolgt, und so mache dich daran. Wo aber nicht, so wirst du wohl anfangs lustig daran gehen, weil du nicht bedacht hast, was nachkommt; hernach aber, wenn sich etliche Schwierigkeiten zeigen, wirst du mit Schanden davon gehen.

Du willst in Olympia siegen? Auch ich, bei den Göttern! denn das bringt Ehre. Aber achte auf das, was vorangeht, und was nachfolgt; dann greife das Werk an. Du mußt geordnet leben, nach Vorschrift essen, der Leckerbissen dich enthalten, dich üben nach fester Regel, zur vorgeschriebenen Stunde, in Hitze und Kälte; nichts Kaltes trinken, keinen Wein zur beliebigen Zeit; kurz, du mußt dich dem Lehrmeister wie einem Arzt übergeben. Sodann beim Kampfe selbst musst du dich mit Sand überschütten lassen. Möglich ist es auch, daß du dir die Hand verzerrst, den Knöchel verrenkst, und vielen Staub schluckst; möglich, daß du durchgeprügelt, und nach allem diesem noch besiegt wirst.

Das überlege wohl, und wenn du dann noch Lust hast, so gehe zum Kampf. Wo nicht, so wirst du dich wie die Kinder betragen, welche bald die Rolle eines Ringers spielen, bald die eines Fechters, das einemal Trompeten blasen, dann wieder ein Schauspiel aufführen. So auch du! Bald bist du ein Athlet, bald ein Fechter, dann ein Rhetor, dann ein Philosoph, aber nichts von ganzer Seele; sondern wie ein Affe ahmst du jeden Auftritt, den du siehst, nach; und bald gefällt dir dies, bald das. Denn du bist nicht mit Überlegung an eine Sache gegangen, und nicht mit Umsicht, sondern auf Geratewohl, und mit frostigem Interesse.

So wollen manche Leute, wenn Sie einen Philosophen gesehen haben, oder wenn sie jemand reden hörten, wie Euphrates redet (und doch: wer kann so reden, wie er?), selbst auch Philosophen sein.

O Mensch, zuerst überlege, wie die Sache beschaffen ist; dann prüfe auch deine eigene Natur, ob dir die Last nicht zu schwer ist. Willst du ein Pentathlete sein, oder nur ein Ringer? Betrachte deine Arme, deine Schenkel, prüfe deine Hüften; denn der eine ist von Natur zu diesem, der andere zu anderem bestimmt.

Glaubst du, du könnest, während du solche Dinge treibst, ebensoviel essen, ebensoviel trinken, eben solche Begierden haben, und ebenso missvergnügt sein? Wachen muss man, und sich anstrengen, sich von den Hausgenossen zurückziehen, sich von einem Sklaven verachten, und von den Vorübergehenden auslachen lassen, und in allem zurückstehen, in der Achtung, im Amt, im Gericht und in jedem Geschäftchen.

Das überlege dir, ob du um diesen Preis Gelassenheit, Freiheit und Gemütsruhe eintauschen willst; wo aber nicht, so verzichte darauf. Sei du nicht, wie die Kinder, jetzt ein Philosoph, hernach ein Zolleinnehmer, sodann ein Rhetor, und zuletzt ein kaiserlicher Prokurator. Diese Dinge passen nicht zusammen. Ein Mensch aus einem Guß mußt du sein, entweder ein guter, oder ein schlechter. Entweder mußt du den herrschenden Theil deiner selbst ausbilden, oder die äußere Seite, entweder auf das Innere deine Kunst verwenden, oder auf das Äußere; d.h. entweder die Stellung eines Philosophen, oder die eines gewöhnlichen Menschen einnehmen.

Die Pflichten sind so ziemlich überall den Verhältnissen angemessen. Es ist einer Vater: Die Pflicht gebietet, sein zu pflegen, ihm in allem nachzugeben, sein Schimpfen, seine Schläge geduldig hinzunehmen.

Aber der Vater ist ein schlechter Mensch! Knüpfen dich denn die Bande der Natur an einen guten Vater? Nein, sondern an einen Vater.

Dein Bruder handelt ungerecht. Behalte Obigem zufolge dein Verhältnis zu ihm im Auge und sieh nicht auf das, was jener thut, sondern wie dein Grundsatz beschaffen sein muß, wenn du naturgemäß handeln willst. Denn ein anderer kann dir nicht schaden, wenn du nicht willst. Dann aber wirst du im Schaden sein, wenn du meinst, du werdest beschädigt.

Ebenso kannst du nun auch vom Nachbar, vom Bürger, vom Feldherrn herausfinden, was (für ihn) Pflicht ist, wenn du dich gewöhnst, die Verhältnisse zu berücksichtigen.

Die Hauptsache in der Frömmigkeit, mußt du wissen, ist dieß, daß man richtige Vorstellungen von den Göttern habe, nämlich, daß es Götter gebe, und daß sie alles gut und gerecht regieren, daß sie dir die Bestimmung gegeben haben, ihnen zu gehorchen, und dich in alles, was geschieht, zu schicken, und willig zu folgen, weil es ja in bester Absicht geschieht. So wirst du niemals die Götter tadeln, noch sie beschuldigen, als bekümmern sie sich nichts um dich.



Anmerkung: Die stoische Theologie beginnt mit der Emanzipation vom Bild der grausamen Götter des Olymp, die unter den Menschen Furcht verbreiteten.



Anders aber kann dieß gar nicht geschehen, als bis du die Begriffe Gut oder Übel von denjenigen Dingen lostrennst, welche nicht in unserer Gewalt sind, und sie ausschließlich in dasjenige verlegst, was in unserer Gewalt ist. Denn sobald du etwas von den ersteren für ein Gut oder für ein Uebel ansiehst, kann es nicht anders sein, als daß du diejenigen anklagst und hassest, welche schuld daran sind, daß dir etwas entgeht, was du dir wünschest, oder daß dir etwas widerfährt, was du nicht wünschest.

Denn es ist allem, was da lebt, angeboren, das, was ihm schädlich vorkommt, sammt seiner Ursache zu fliehen und zu meiden, das Nützliche aber sammt seiner Ursache zu begehren und zu bewundern. Unmöglich kann einer, der im Schaden zu sein glaubt, an dem, was ihm schädlich scheint, eine Freude haben, wie es auch unmöglich ist, sich zu freuen über den Schaden selbst.

Deshalb wird selbst ein Vater von seinem Sohne geschmäht, wenn er seinem Kinde nichts von den Dingen mittheilt, die man für Güter hält. Auch den Polynikes und Eteokles entzweite eben das, daß sie die Alleinherrschaft für etwas Gutes hielten. Aus demselben Grunde flucht der Bauer über die Götter, aus demselben der Schiffer, aus demselben der Kaufmann, aus demselben diejenigen, welche Weib und Kind verlieren. Denn so weit ihr Nutzen reicht, reicht auch ihre Frömmigkeit. Wer also sich befleißigt, nur das zu begehren und zu meiden, was er soll, der befleißigt sich eben damit auch der Frömmigkeit.

Pflicht ist es übrigens in jedem Fall, Trankopfer und Brandopfer und Erstlingsgaben darzubringen nach väterlicher Weise, mit reinem Sinn und nicht gedankenlos, auch nicht gleichgiltig; weder kärglich, noch auch über Vermögen.

Wenn du zum Orakel gehst, so erinnere dich, dass du nicht weißt, was geschehen wird, sondern dass du kommst, um es von dem Seher zu erfahren. Wie aber eine Sache beschaffen ist, das weißt du schon beim Kommen, wenn du ein Philosoph bist. Ist es nämlich etwas von den Dingen, die nicht in unsrer Gewalt sind, so kann es schlechterdings weder ein Gut, noch ein Übel sein.

Du sollst also zum Seher weder Begierde, noch Widerwillen mitbringen. Auch gehe nicht mit Angst zu ihm, sondern als einer, der weiß, daß alles, was da kommen mag, gleichgültig ist, und nichts, das dich anginge. Wie es aber auch sein mag, man wird einen guten Gebrauch davon machen können; und das kann dir niemand wehren.

Gutes Mutes also, wie vertrauen Ratgebern, nahe dich den Göttern; und im übrigen, wenn du Rat empfangen hast, so erinnere dich, wer die sind, die du zu Berathern angenommen hast, und wem du ungehorsam wirst, wenn du nicht folgst.

Gehe aber, nach dem Rat des Sokrates, nur wegen solcher Dinge zum Orakel, die nach allem Betracht eine Beziehung auf die Zukunft haben, und bei welchen weder die Vernunft, noch ein anderes Mittel eine Möglichkeit darbietet, zu erkennen, was bevorsteht.

Wenn du also einem Freund, oder dem Vaterland in der Gefahr beistehen sollst, so frage nicht den Seher, ob du ihnen beistehen sollst. Denn wenn dir auch der Seher sagt, daß die Opferzeichen schlimm ausgefallen seien, so bedeutet dieß zwar augenscheinlich den Tod, oder Verstümmelung eines Glieds an unserem Leibe, oder Verbannung; aber die Vernunft gebietet trotz alledem, dem Freunde beizustehen, und mit dem Vaterlande die Gefahr zu theilen.

Folge also dem höheren Seher, dem pythischen Gott, welcher den aus dem Tempel hinauswarf, der seinem Freunde nicht zu Hilfe kam, als man ihr mordete.

Stelle dir ein Muster und Vorbild auf, und lebe ihm nach, sowohl wenn du allein bist, als wenn du unter die Leute kommst.

Auch schweige man meistens oder spreche nur, so viel nöthig, und mit wenigen Worten. Bisweilen aber, wenn die Umstände zum Reden auffordern, sollst du reden; aber nicht von jenen alltäglichen Dingen, nicht von Fechterspielen, nicht von Pferderennen, nicht von den Athleten, nicht von Essen und Trinken, wovon man allerorten redet, besonders aber nicht von Personen, weder tadelnd, noch lobend, noch vergleichend.

Wenn es nun in deiner Macht steht, so lenke durch deine Reden auch die der Mitanwesenden auf das Schickliche. Stehst du aber zufällig unter Fremden allein, so schweige.

Lache nicht viel, und nicht über vieles, und nicht ausgelassen.

Den Eid verweigere, wenn es angeht, ganz; wo aber nicht, doch so viel als möglich.

Gastmähler bei Fremden und bei ungebildeten Leuten schlage aus. Kommt aber der Fall einmal vor, so mache es dir zum Gesetz, wohl aufzumerken, daß du nicht unversehens in Gemeinheit versinkest. Denn wisse: wenn einer einen unflätigen Menschen zum Kameraden hat, so muß er, der sich mit ihm einläßt, ebenfalls besudelt werden, auch wenn er selbst vielleicht rein ist.

In Bezug auf das Leibliche versieh dich nicht weiter, als mit dem schlechthin notwendigen Bedarf an Speise, Trank, Kleidung, Obdach, Dienerschaft. Was aber zum Gepränge, oder zum Luxus gehört, schneide völlig ab.

In Bezug auf geschlechtlichen Umgang halte dich vor der Ehe so keusch als möglich. Wer sich aber damit befassen will, genieße ihn, wie es gesetzlich erlaubt ist. Du aber sei nicht unbillig gegen die, welche Gebrauch davon machen, und verdamme sie nicht. Auch führe es nicht bei jeder Gelegenheit an, daß du dich dessen enthaltest.

Wenn dir jemand hinterbringt, daß der oder jener Schlimmes von dir rede, so verteidige dich nicht gegen das Gesagte, sondern antworte: Der wußte also nichts von meinen übrigen Fehlern, sonst würde er wohl nicht bloß von diesen gesprochen haben.

Oft in das Theater zu gehen, ist nicht notwendig. Kommst du aber zufällig einmal dahin, so lass niemand, als dich selbst, merken, daß du innerlich Anteil nimmst, d.h. wünsche, daß nur das geschehe, was geschieht, und nur der siege, welcher siegt; denn auf diese Weise wird dir alles nach Wunsch gehen. Des Schreiens aber und Beifall-Zulachens, oder häufiger Mitbewegungen enthalte dich gänzlich. Nach dem Weggehen unterhalte dich nicht viel über das Vorgekommene, so weit es nicht zu deiner Besserung beiträgt. Denn hierdurch gewönne es den Anschein, als hättest du das Schauspiel bewundert.